Deckentraining, das Wundermittel?

In den letzten Jahren hat es sich immer mehr verbreitet, mit Hunden ein sogenanntes Deckentraining durchzuführen. Dieses Deckentraining wird gerne als Universalmittel eingesetzt, sei es um den Hund „aufzuräumen“, seine Bewegungsfreiheit einzuschränken, um Sicherheit zu geben, oder territoriales Verhalten einzudämmen. Es läuft fast nicht mehr ohne. Dem Hund eine Decke anzubieten, damit er sich in Ruhe hinlegen kann, wenn wir im Lokal, auf Seminar, im Büro oder bei Freunden zu Besuch sind, ist so gesehen nichts verkehrtes. Nach meiner langjährigen Erfahrung, lernen die Hunde das sehr schnell und auch zu schätzen. Da braucht es kein extra Training. Das dies mit einem aufgedrehten und unausgelasteten Hund nicht funktioniert sollte wohl klar sein. Wenn man jedoch mit seinem Hund vorher geht und zum Schluß der Runde hin Ruhe einkehren lässt und im weiteren Verlauf die Hunde selbst in Ruhe lässt, dann ist dieser Punkt sehr schnell geklärt. Learning by Doing oder anders ausgedrückt, Alltagsregeln einführen. Nicht wenige meiner Kunden sind erstaunt, wie unkompliziert es ist mit dem Hund in ein Lokal zu gehen. Wenn es denn auch unkompliziert umgesetzt wird. Bedauerlicherweise wird mittlerweile aus (fast) jeder Mücke ein Elefant gemacht und dementsprechend gebärden sich viele Hunde heutzutage.

 

Doch dies ist ein anderes Thema. Zurück zum Deckentraining. Den Hund expliziet auf seine Decke oder ins Körbchen zu schicken um ihn somit in ein Stand by zu versetzen, hat in meinen Augen nichts mit Zusammenleben zu tun. Ich bin jetzt fertig mit dem Spielzeug und räume es weg. Den Hund in seiner Bewegungsfreiheit einschränken, mir erschließt sich der Sinn nicht darin. Wo ist das Problem, wenn er mal im Wohnzimmer, mal im Flur oder auch mal in der Küche liegt? Wenn er aufsteht und in einen anderen Raum geht? Während ich gerade in der Küche an meinem Esstisch sitze und schreibe, liegt der eine Hund im Wohnzimmer und der andere ist oben im ersten Stock. Und nein, bislang wurden meine Wohnungseinrichtungen nicht zerstört, auch nicht von Hunden, die frisch da waren. Denn diesen Hunden wurde erst Zeit gegeben, das Alleine sein zu lernen, ohne Decke und selbstverständlich auch ohne Box. Natürlich gibt es auch hier ein Ja, aber. Der Hund ist total nervös und tigert die ganze Zeit herum. Wirklich die ganze Zeit? Oder sucht er sich nur einen ruhigen Rückzugsort. Kein Kind wird so ausgiebig und dauerhaft beobachtet wie viele Hunde. Durch das Over-Watching sind Hunde heutzutage oft einer permanenten Beobachtung ausgesetzt. Er hebt seinen Kopf, es zuckt die Pfote, kaum eine Bewegung vom Hund, die nicht wahr genommen und auch gleich interpretiert wird. Der Hund ist nervös, es muss dagegen vorgegangen werden. Anstatt sich jedoch mit den Gründen dieser Nervosität auseinander zu setzen, beschäftigt man sich mit den Symptomen.

 

Ähnlich wird es beim Thema unerwünschtes Verhalten gehandhabt. Wenn unser Hund mit einer bestimmten Situation nicht gut umgehen kann, wird er nicht sicher und gelassen dadurch, dass wir in auf die Decke schicken. Ist es eine Situatuion Draußen, wird oftmals ein Sitz vom Hund verlangt. Es ändert sich dadurch aber nichts an der Situation. Gleiches gilt für territoriales Verhalten. Hunde können auch von einer Decke aus die Wohnung als ihr Territorium betrachten. Mit Argusaugen wird beobachtet was die Eindringlinge tun. Wehe, wenn sie losgelassen.

 

Nehmen wir folgendes Beispiel: Es klingelt an der Tür, der Hund rennt bellend dahin. Zukünftig soll der Hund jedoch, anstatt bellend zur Tür zu rennen, auf die Decke gehen, wenn es klingelt. Im Grunde genommen ist das Deckentraining daher nichts anderes, als ein „Bleib“ verknüpft mit der Decke. Das Kommando „Decke“ bedeutet, bleib genau auf dieser Decke, während das Kommando „Bleib“ bedeutet, bleib dort wo ich es Dir anzeige.

 

Wenn ich den Hund nun auf die Decke schicke, dann wird jedoch nicht an der Ursache gearbeitet. Wenn ich möchte, dass mein Hund entspannt mit dieser Situation umgeht, dann muss ich mir überlegen, warum er denn überhaupt angespannt ist. Und das wiederum bedeutet, ich muss meinem Hund vermitteln, dass es völlig ok ist, wenn Jemand zu uns kommt. Wenn ich den Hund lediglich auf die Decke schicke und mein Verhalten und die Situation selbst nicht ändere, wird der Hund nicht dauerhaft entspannen. Er wird zwar lernen auf die Decke zu gehen, aber er wird niemals entspannt von der Decke kommen. Es wird immer ein Spannung und Unsicherheit beim Hund bleiben. Weil die Ausgangssituation sich nicht geändert hat. Es gibt viele Hunde, die über längere Zeit scheinbar ruhig auf ihrer Decke bleiben und dann plötzlich wieder in das alte Verhalten fallen. Weil sie die Spannung nicht mehr halten können. Andere wiederum verlegen den Schauplatz des Geschehens auf eine andere Situation. Etwa, wenn der Besuch aufsteht oder wieder geht. Das wird dann des Öfteren interpretiert als „Jetzt mag er gar nicht mehr, dass Du gehst“.

 

Man muss verstehen, dass die Wohnung unsere Höhle ist, unser eigenster Rückzugsort. Der Ort, an dem der Hund sich sicher fühlen und entspannen kann. So betrachtet es ein Hund. Das bedeutet aber auch, dass normalerweise Fremde, die nicht zum Rudel gehören, auch keinen Zutritt haben. Interessanterweise ist dies den meisten Hundehaltern klar, wenn es um andere Hunde geht. Erst vorher eine Runde zusammen gehen und dann gemeinsam ins Haus. Futternäpfe und Spielsachen werden weg geräumt damit keine Stresssituationen entstehen. Man vermeidet Aufgregung. Wenn es jedoch um zweibeinigen Besuch geht, dann wird davon ausgegangen, dass es dem Hund entweder völlig egal ist, oder er sich über die Maßen freut, wenn Jemand kommt.

 

So ist es aber nicht. So denkt kein Hund. Dem Hund ist es völlig egal ob der Eindringling vier oder zwei Beine hat. Wer nicht dazu gehört, gehört halt nicht dazu. Deswegen ist es auch so überaus wichtig, mit seinem Verhalten dem Hund zu zeigen, dass der Besuch gestattet und keine Bedrohung ist. Denn in den meisten Fällen können die Hunde, gerade bei zweibeinigem Besuch, beobachten, dass dieser ohne Erlaubnis und bedrohlich gegen ihre Menschen, ihre Höhle betreten.

 

Wie sieht es denn normalerweise aus, wenn es klingelt und man die Tür öffnet? Der Besuch steht direkt davor. Und das auch noch ohne ausreichende Distanz. Was passiert dann? Der Hundehalter geht rückwärts, der Besuch vorwärts und betritt nun die Wohnung. Hilfe denkt sich der Hund, jetzt werden wir überfallen. Als nächstes dreht sich sein Mensch um und geht voraus, der Besuch hinterher. Dem Eindringling wird der Rücken zugewandt. Spätestens jetzt muss der Hund eingreifen, weil sein Mensch ja nun völlig schutzlos dem Besuch ausgeliefert ist. Hunde lernen schnell. Und wenn das ein paar Mal so abläuft, wird eben nicht mehr gewartet, bis der Besuch in der Wohnung ist. Es wird schon versucht diesen am Betreten zu hindern, indem der Hund sich heldenmutig dazwischen wirft. Der Hund weiß mittlerweile, wenn es klingelt ist Gefahr im Verzug.

 

Für den Hund ist diese Situation ernst und vor allem bedrohlich. Deswegen ist es so unglaublich wichtig, seinem Hund die Gewißheit zu geben, dass keine Gefahr besteht. Das geschieht durch unser Handeln. Lassen wir uns zurück drängen oder geben wir den Weg frei. Lassen wir uns verfolgen oder führen wir den Besuch ins Zimmer? Der Hund beobachtet und bewertet. Hat mein Mensch die Situation unter Kontrolle oder muss ich einschreiten?

 

Der Hund soll den Besuch im weiteren Verlauf auch in Ruhe lassen. Ja, ein guter Punkt. Dazu muss er aber nicht auf der Decke bleiben. Dazu muss ich ihm erstens klar machen, dass er ihn in Ruhe zu lassen hat und zweitens den Besuch anhalten den Hund in Ruhe zu lassen. Den Hund schicke ich weiter und dem Besuch sage ich unmißverständlich, dass der Hund, nach der Begrüßung, tabu ist. Wenn man bedenkt, wieviel Aufmerksamkeit und Aufregung Hunden entgegengebracht wird, wenn Besuch kommt. Ich denke da nur an meinen Vater, der in dieser Sache völlig uneinsichtig ist, dann wundere ich mich nicht, dass die Hunde aufdrehen und die ganze Zeit über herum laufen und nervös sind. In unserem Fall schicke ich meine Hunde tatsächlich aus der Schußlinie, bis mein Vater am Tisch sitzt. Kommt z.B. seine Lebenspartnerin alleine, dann ist das nicht nötig. Weil sie sich normal verhält. Normal bedeutet, sie begrüßt die Hunde, freundlich und unaufgeregt. Dann hat es sich aber auch mit der Aufmerksamkeit und meine Hunde verkümeln sich.

 

Das bedeutet, wenn wir an der jeweiligen Situation sowie an dem Verhalten des/der Menschen arbeiten, wird auch an der Einstellung des Hundes gearbeitet. Erst dann ist der Hund in der Lage sein Verhalten mit unserer Hilfe umzustellen. In diesem Fall, durch das aktive und aus Hundesicht richtige Verhalten seiner Menschen, erkennt der Hund, dass es in Ordnung ist, wenn Besuch kommt. Er also nicht mehr den Türsteher geben muss. Wenn er dann noch unsicher ist, zeigen wir ihm an, was er tun soll, z.B. eben auf die Seite gehen, Distanz aufbauen.

 

Eine Decke ist hierfür nicht notwendig, sondern einzig und allein durchdachtes und klug eingesetztes Handeln von Seiten der Menschen.

 

 

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